Hermann
Hesse im Kloster Maulbronn
”Die
kurze Periode der Göppinger Schulzeit, der einzigen,
in der Hesse ein guter Schüler war und seine Lehrer
verehrte, fand mit dem Landexamen im Juli 1891 den erhofften
Erfolg. Hesse bestand die gefürchtete Prüfung
und rückte, wie so mancher der Gundertschen Ahnen
vor ihm, zusammen mit rund drei Duzend Seminaristen
im Herbst 1891 in das Seminar Maulbronn ein.
Die niederen
evangelisch-theologischen Seminare sind württembergische
Bildungseinrichtungen von besonderer Eigenart und innerhalb
Deutschlands fast ohne Vergleich, mögen sich auch
mancherlei Parallelen etwa mit Schulpforta [ehem. Zisterzienserkloster,
1543 von Moritz v. Sachsen in eine Fürstenschule
umgewandelt, Schüler waren u. a. J. G. Fichte,
F. G. Klopstock, F. Nietzsche, L. Ranke], der einstigen
Meißner Fürstenschule oder verschiedenen
katholischen Seminaren nachweisen lassen.
Ihre Geschichte
führt zurück bis in das Zeitalter der Reformation.
Unmittelbar nach dem Augsburger Religionsfrieden begann
Herzog Christoph, einer der bedeutendsten württembergischen
Fürsten, das Kirchen- und Schulwesen seines Landes
zu ordnen und neu aufzubauen. Die folgenreichste Neuerung
war die Verwandlung der vierzehn württembergischen
Mannsklöster zu protestantischen Klosterschulen,
an denen vierzehn bis achtzehnjährige Knaben des
Landes als Stipendiaten zum Studium der evangelischen
Theologie vorbereitet werden sollten. Diese Neuordnung,
1565 durch Landtagsbeschluß feierlich bestätigt,
trug ungeahnte Früchte, denn der Einfluß
der Seminare, deren Zahl zwar im Laufe der Jahrhunderte
auf vier Internate in Maulbronn und Schöntal, Blaubeuren
und Urach zusammenschmolz, reicht weit über den
der anderen Schulen Württembergs hinaus. Die besondere,
in manchem zweifellos sehr einseitige Prägung der
württembergischen Geistigkeit ist zu einem wesentlichen
Teil durch die Seminare und dann durch das evangelisch-theologische
Stift an der Universität Tübingen, das die
Seminaristen aufnahm, erfolgt.
Johannes Kepler
wie Hölderlin, Eduard Mörike und Robert Mayer
waren gleich so vielen anderen, die als Dichter oder
Gelehrte Namen und Ruhm erzielten, durch die Seminare
gegangen. Die meisten Theologen, eine Großzahl
von Lehrern und Professoren, aber auch von höheren
Beamten des früheren Herzogtums und Königreichs
Württemberg haben entscheidende Jahre ihrer Schulzeit,
die damals wie heute den vier Oberklassen eines humanistischen
Gymnasiums entsprach, in der Seminargemeinschaft verbracht.
Die streng
gesiebte, ausschließlich nach intellektueller
Leistung getroffene Auswahl der Schüler, die Stärke
der Tradition, die nicht zuletzt in einer einfachen,
fast klösterlichen Lebensform zum Ausdruck kam,
das humanistisch-protestantische Bildungsideal, getragen
von einem sehr gediegenen altsprachlichen Unterricht,
gaben den Internaten ihren eigentümlichen Charakter,
ihre bildende Kraft und ihre Autorität. Zweifellos
war diese Ausbildung in vielen Punkten einseitig und
starr, aber im Festhalten am Überlieferten, im
Verzicht auf voreilige Experimente lag ein wichtiges
Stück ihrer Macht.
Hermann Hesse,
der bis zu seinem vierzehnten Lebensjahr das Basler
Bürgerrecht besaß und für die Aufnahme
ins Seminar erst das württembergische Bürgerrecht
erwerben mußte, war nicht viel länger als
ein halbes Jahr [vom 15. September 1891 bis zum 7. Mai
1892] Seminarist in Maulbronn. Aber das Erleben dieser
kurzen Zeit genügte, um seinem literarischen Schaffen
einen besonders charakteristischen Zug, vielleicht darf
man sagen, seine Maulbronner Note zu geben. Eine erste,
recht kritische, in manchen Details sehr wahrheitsgetreue
Schilderung seines Seminar- und Jugenderlebens enthält
die 1906 erschienene Erzählung Unterm Rad.
["Im
Nordwesten des Landes liegt zwischen waldigen Hügeln
und kleinen stillen Seen das große Zisterzienserkloster
Maulbronn. Weitläufig, fest und wohl erhalten
stehen die schönen alten Bauten und wären
ein verlockender Wohnsitz, denn sie sind prächtig,
von innen und außen, und sie sind in den Jahrhunderten
mit ihrer ruhig schönen, grünen Umgebung
edel und innig zusammengewachsen. Wer das Kloster
besuchen will, tritt durch ein malerisches, die hohe
Mauer öffnendes Tor auf einen weiten und sehr
stillen Platz. Ein Brunnen läuft dort, und es
stehen alte ernste Bäume da und zu beiden Seiten
alte steinerne und feste Häuser und im Hintergrunde
die Stirnseite der Hauptkirche mit einer spätromanischen
Vorhalle, Paradies genannt, von einer graziösen,
entzückenden Schönheit ohnegleichen. Auf
dem mächtigen Dach der Kirche reitet ein nadelspitzes,
humoristisches Türmchen, von dem man nicht begreift,
wie es eine Glocke tragen soll. Der unversehrte Kreuzgang,
selber ein schönes Werk, enthält als Kleinod
eine köstliche Brunnenkapelle; das Herrenrefektorium
mit kräftig edlem Kreuzgewölbe, weiter Oratorium,
Parlatorium, Laienrefektorium, Abtwohnung und zwei
Kirchen schließen sich massig aneinander. Malerische
Mauern, Erker, Tore, Gärtchen, eine Mühle,
Wohnhäuser umkränzen behaglich und heiter
die wuchtigen alten Bauwerke. Der weite Vorplatz liegt
still und leer und spielt im Schlaf mit den Schatten
seiner Bäume;"
(Hesse, Hermann: Unterm Rad. Suhrkamp, Frankfurt a.
M. 1982, 17. Aufl., S. 53)]
In Begegnungen
mit Vergangenem schreibt Hesse darüber sehr
viel später einmal: Es war die Zeit, die ich
auch da noch unsicher genug und weit vom wirklichen
Verstehen und Überwundenhaben entfernt, zehn Jahre
später in der Erzählung «Unterm Rad»
zum erstenmal zu beschwören versucht habe. In der
Geschichte und Gestalt des kleinen Haus Giebenrath,
zu dem als Mit- und Gegenspieler sein Freund Heilner
gehört, wollte ich die Krise jener Entwicklungsjahre
darstellen und mich von der Erinnerung an sie befreien,
und um bei diesem Versuche das, was mir an Überlegenheit
und Reife fehlte, zu ersetzen, spielte ich ein wenig
den Ankläger und Kritiker jenen Mächten gegenüber,
denen Giebenrath erliegt und denen einst ich selber
beinahe erlegen wäre: der Schule, der Theologie,
der Tradition und Autorität. Wie gesagt, es war
ein verfrühtes Unternehmen, auf das ich mich mit
meinem Schülerroman einließ, und es ist dann
auch nur sehr teilweise geglückt ... aber ... das
Buch enthielt doch ein Stück wirklich erlebten
und erlittenen Lebens ...
Schönheit
und Zauber des alten Zisterzienser-Klosters Maulbronn,
einer der herrlichsten und besterhaltenen Klosteranlagen
Deutschlands, werden in manchen Skizzen und Erzählungen
der späteren Jahre beschworen. Als Mariabronn lebt
das Kloster in Narziß und Goldmund wieder
auf, und ohne das Urbild Maulbronn ist das Kastalien
des Glasperlenspiels nicht denkbar. Es
ist mir manchmal ein sympathischer Gedanke, daß
inmitten des zerrütteten Deutschland und Europa
da und dort solche Zellen des Aufbaus bestehen wie die
Klosterschulen, schreibt Hesse nach dem Zweiten
Weltkrieg an den Maulbronner Ephorus, den Leiter des
Seminars.

Klosterkirche von Westen (Ölbild,
1855, F. Kirchner, München)
Wer das
Kloster besuchen will, tritt durch ein malerisches,
die hohe Mauer öffnendes Tor auf einen weiten und
sehr stillen Platz. Ein Brunnen läuft dort, und
es stehen alte ernste Bäume da und zu beiden Seiten
alte steinerne und feste Häuser und im Hintergrunde
die Stirnseite der Hauptkirche mit einer spätromantischen
Vorhalle, Paradies genannt, von einer graziösen,
entzückenden Schönheit ohnegleichen. Auf dem
mächtigen Dach der Kirche reitet ein nadelspitzes,
humoristisches Türmchen, von der man nicht begreift,
wie es eine Glocke tragen soll. Der unversehrte Kreuzgang,
selber ein schönes Werk, enthält als Kleinod
eine köstliche Brunnenkapelle, das Herrenrefektorium
mit kräftig edlem Kreuzgewölbe, weiter Oratorium,
Parlatorium, Laienrefektorium, Abtwohnung und zwei Kirchen
schließen sich massig aneinander. Malerische Mauern,
Erker, Tore, Gärtchen, eine Mühle, Wohnhäuser
umkränzen behaglich und heiter die wuchtigen alten
Bauwerke. Einem Wunder gleicht die Brunnenkapelle. Ich
... sah im klaren Schatten des gewölbten Raumes
die drei Brunnenschalen übereinander schweben und
das singende Wasser fiel in acht feinen Strahlen von
der ersten in die zweite Schale, und in acht feinen
klingenden Strahlen von der zweiten in die riesige dritte,
und das Gewölbe spielte in ewig holdem Spiel mit
den lebendigen Tönen, heut wie gestern, heut wie
damals, und stand herrlich in sich begnügt und
vollkommen als ein Bild von der Zeitlosigkeit des Schönen.
Die Tatsache,
das Hesse eines Tages dem Seminar entlaufen ist, hat
dazu verführt, die Maulbronner Zeit ausschließlich
als eine Periode schwerer seelischer Konflikte zu sehen.
Für die ersten Monate trifft das Gegenteil zu.
Der junge Hesse, das beweisen die zahlreichen, nun von
Ninon Hesse veröffentlichten Briefe an die Eltern,
hat sich erstaunlich rasch und gut eingelebt. Mit sichtlicher
Lust zu fabulieren, gewandt und anschaulich beschreibt
er den Seminarbetrieb, erzählt er von den Lehrern
und Schulaufgaben, von seinen Kameraden und nicht zuletzt
von der täglichen Kost. Auch dem Großvater
in Weißenstein berichtet er eingehend und schildert
ihm in köstlichen Versen den Maulbronner Tageslauf.
Mit einem Dutzend Kameraden bewohnt er die Stube Hellas
und bezeichnet sich voll Stolz als Hellene. Forum, Athen,
Sparta, Akropolis und Germania sind die Namen der übrigen
Zimmer. Früh um 6 Uhr 30 wird geweckt. 6 Uhr 50
eilt man zum «Prezieren», der Frühandacht,
die von einem der beiden Repetenten – so die Namen
der noch unständigen Lehrer – gehalten wird.
Der Unterricht beginnt regelmäßig um 7 Uhr
45. Die Lektionen dauern bis 12 Uhr und werden um 14
Uhr fortgesetzt. Nach dem Abendessen um 19 Uhr 30 ist
Zeit für die sogenannte «Dormentrekreation»,
dann schließt der Tag mit dem gemeinsamen Abendgebet.
Die Zahl der wöchentlichen Unterrichtsstunden beträgt
41, dazu kommen die Arguments- und die Arbeitsstunden.
Die Freizeit ist knapp, nur an den Sonntagen bleiben
einige Stunden für größere Ausflüge.
Der Unterricht
macht Hesse Spaß; auch von seinen Lehrern, den
Musik- und Turnlehrer ausgenommen, erzählt er sehr
angetan. Homer ist prächtig, heißt
es einmal und an anderer Stelle: Es macht mir Spaß,
Ovid in deutsche Hexameter zu übertragen.
Besonders gern schreibt er Aufsätze. Heute
morgen hatte ich die Freude, meinen Aufsatz «Kurzer
Lebensabriß mit genauerer Detailschilderung»,
als den besten der Promotion vorlesen zu hören,
berichtet er stolz schon in der ersten Woche. Etwas
später teilt er mit, er habe einen Aufsatz mit
der zweifelhaften Bemerkung: Sie besitzen Phantasie
zurückbekommen und fährt dann fort: Gegenwärtig
zerbreche ich mir den Kopf am Aufsatz «Eine genaue
Charakteristik Abrahams an der Hand von Gen. 12-15 und
21-24, soll zeigen, wie dieser Erzvater das rechte Werkzeug
Gottes zur Gründung des aus allen Heiden auserwählten
Gottesvolkes sein konnte». Nicht eben leicht.
Wir haben nur eine Woche Zeit dazu. Vergnügen
machen ihm Deklamationen, ja, er gründet mit einigen
Kameraden ein kleines «klassisches Museum».
Wir haben gegenwärtig zehn Mitglieder. Wir
lesen klassische Schiller-Stücke mit verteilten
Rollen, deklamieren eigene und andere Gedichte, versuchen
uns in kritischen Vorträgen etc. ... Auf nächsten
Sonntag habe ich dem Verein einen Aufsatz über
Goethe versprochen. Später wird Schillers
«Parasit» und die «Aeneis»-Übersetzung
von Voß gemeinsam gelesen. Es sind immer die
schönsten und ruhigsten Abende. Dann beschäftigt
er sich mit Schillers Prosa, liest mit Genuß Klopstocks
Oden und fragt die Eltern, ob ihm die Lektüre des
«Messias» genehmigt werde. Um seinen Stil
zu verbessern, beschafft er sich in der Bibliothek das
«Handbuch der Deutschen Prosa» von Kurz.
Von einer
nächtlichen Prügelei mit einem Stubenkameraden
berichtet er ebenso nach Hause wie von den dramatischen
Hilfsaktionen bei einem Brand im Pfründheim neben
dem Kloster, und in wortgewandten kleinen Skizzen charakterisiert
er sehr treffend einzelne seiner Mitschüler. Mit
nicht wenigen davon, so mit Otto Hartmann, mit Schall,
mit Häcker oder Zeller, bleibt er ein Leben hindurch
in freundschaftlicher Verbindung. Ich bin froh,
vergnügt, zufrieden! Es herrscht im Seminar ein
Ton, der mich sehr anspricht. Vor allem ist es das offene
Verhältnis zwischen Zöglingen und Lehrern,
dann aber auch das nette Verhältnis der Zöglinge
untereinander ... alles zusammen bildet ein festes,
schönes Band zwischen Allen und nirgends findet
man einen Zwang ... dann das großartige Kloster!
In einem der feierlichen Kreuzgänge mit einem Anderen
über Sprachliches, Religiöses, über Kunst
etc. zu disputieren, hat einen besonderen Reiz ...
Dieser Brief
trägt das Datum des 24. Februar 1892. Zwei Wochen
später, am 7. März, läuft Hesse ohne
sichtlichen äußeren Anlag oder zureichenden
Grund, ohne Geld, ohne Mantel nach dem Mittagessen auf
und davon. Bei der Nachmittagslektion wird er vermißt,
und als er im Laufe der folgenden Stunden nicht zurückkehrt,
beginnt die Promotion, in Gruppen aufgeteilt, die umliegenden
Wälder abzusuchen. Professor Paulus, der den Ephorus
im Amt vertritt, telegrafiert nach Calw: «Hermann
fehlt seit 2 Uhr. Bitte um etwaige Auskunft.»
Dann werden die Gendarmerieposten, die Schultheißen
der benachbarten Dörfer, das Oberamt verständigt,
aber die Suchaktion bleibt ohne Erfolg. Spät am
Abend teilt Paulus den Eltern die Ergebnislosigkeit
aller Bemühungen mit, und in der Frühe des
nächsten Tages muß er telegrafieren: «Alle
Schritte gethan, bis jetzt ohne Erfolg.» Erst
gegen Mittag kehrt Hesse müde, erschöpft,
hungrig, von einem Landjäger begleitet, ins Seminar
zurück. Dank für Deine lieben Worte!
schreibt er am Tag darauf dem Vater, so verachtet
Ihr also den leichtsinnigen Träumer nicht, der
Euch so in Sorge brachte? Eine Erzählung der näheren
Umstände wird Euch Onkel [Friedrich Gundert] geben
können. Ich kam in den 23 Stunden in Württemberg,
Baden und Hessen herum. Außer der Nacht vom Abend
8 Uhr bis morgens 1/2 5 Uhr, die ich auf freiem Feld
bei 7 Grad minus zubrachte, war ich die ganze Zeit auf
den Füßen. Bitte erlaubt mir, die Geigenstunden
aufzugeben, sonst kann ich dem Seminarleben gar keine
schöne Seite mehr abgewinnen ... Bitte liebt mich
nach wie vorher. In Eile, Hermann.
Die Lehrer
sind verständnisvoll und behandeln ihn schonend.
Doch der geheiligten Seminarordnung muß Genüge
getan werden, und so bestraft man den Ausreißer,
«wegen unerlaubten Entweichens aus der Anstalt»,
mit acht Stunden Karzer. Am 12. März schreibt er
den Eltern: Ich sitze eben meine Strafe ab bei Wasser
und Brot; sie fing um 1/2 1 Uhr an und datiert noch
bis 1/2 9 Uhr ... ich vertiefe mich eben in Homer, in
eine prächtige Stelle der «Odyssee»,
E. 26o ff. Es geht mir ordentlich, d. h. ich bin furchtbar
schwach und müd, körperlich und geistig, beginne
mich aber allmählich zu erholen. Nicht ohne
Genugtuung beendet er den Brief mit der Bemerkung: Eben
lese ich an der Wand des Carcers: Karl Isenberg [der
erste, früh verstorbene Mann von H. Hesses Mutter
Marie Gundert], 28. Mai, 1885.
Erst in dem
folgenden Brief vom 20. März werden die innere
Not und die depressive Stimmung deutlich. Ich bin
so müde, so kraft- und willenlos ... ich bin nicht
krank, nur eine neue, ganz ungewohnte Schwäche
fesselt mich ... meine Füße sind immer eiskalt,
während es ganz innen im Kopf brennt, und
er zitiert Herweghs Lied, ich möchte hingehen
wie das Abendrot. Die meisten Freunde, zum Teil
von ihren Eltern dazu gedrängt, ziehen sich nun
von ihm zurück. Er vereinsamt und leidet schwer
unter der Isolierung. Nach den Osterferien, die er reizbar,
verdrossen, verschlossen in Calw verbringt, kehrt er
zwar wieder nach Maulbronn zurück, aber da sich
die Krise verschlimmert, muß die Ausbildung unterbrochen
werden. Im Mai 1892 holt ihn der Vater zurück,
und er wird zur Wiederherstellung seiner Gesundheit
bis Ende des Jahres beurlaubt.
Mit der Flucht
aus Maulbronn, die zunächst nicht viel anderes
als die Kurzschlußreaktion eines sensiblen, phantasievollen
und leicht erregbaren jungen Menschen war, begann eine
Zeit schwerer seelischer Konflikte, die sich in Nervenkrisen
äußerten, im Grunde aber ein verzweifelter
Kampf um Selbstbehauptung waren, um Verteidigung des
eigenen Ichs und des früh bewußt gewordenen
Dichtertums gegenüber den starren religiösen
Traditionen der Familie und gegenüber all den mächtigen
und so gesicherten Autoritäten, von denen er sich
umstellt sah. Mehr als vier Jahre lang ging alles
unweigerlich schief, was man mit mir unternehmen wollte,
keine Schule wollte mich behalten, in keiner Lehre hielt
ich lange aus. Jeder Versuch, einen brauchbaren Menschen
aus mir zu machen, endete mit Mißerfolg, mehrmals
mit Schande und Skandal, mit Flucht oder mit Ausweisung
...“ (Zeller,
Bernhard: Hermann Hesse in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten.
Rowohlts Monographien, Hrsg. v. Kurt Kusenberg, Reinbek
bei Hamburg, 1977, 16. Aufl., S. 21-28)
Im
Jahre 1914, d. h. ein Vierteljahrhundert nach seiner
Flucht aus dem Seminar, kehrt Hesse wieder zu einem
Besuch nach Maulbronn zurück und beschreibt seine
Eindrücke in folgendem Gedicht: |